Angela Andorrers Panoramahandscape Tulln
von Wolfgang Giegler
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„Ich ist ein anderer“ schrieb 1871 der nur 17-jährige Arthur Rimbaud (1), der über den Weg der Poesie, der Dichtung‚ der Sprachkunst „durch die Störung aller Sinne zum Unbekannten“ gelangen wollte. „Die Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“ schrieb Paul Klee (2) 1920 und stellt damit – wie Rimbaud – die Kunst an die Position der Seherin und Erzeugerin von Wirklichkeit. Wie können wir das Unsichtbare sichtbar machen, wie können wir das Unsagbare zum Reden bringen, wie kommen wir zum Entdecken, zum Aufdecken?
Erinnerung an die Zukunft
Das Vergangene ist ständig in Bewegung, es wird gedeutet aus Blickwinkeln und Standpunkten. Die Gegenwart ist fluide geworden, kaum greifbar, flüchtig und ohne Aufenthalt. Die Zukunft ist vielleicht eine Landschaft der Fantasie, der Utopie und der Hoffnung – oder der Sorge. Ist diese nun das verbindende Gemeinsame?
Es wundert einen nicht, wenn sich die „Stadt des Miteinanders“– als die sich Tulln auf Basis einer programmatischen Bürger:innenentscheidung sieht – mit einem Denkmal nicht an die Vergangenheit, sondern an die Gegenwart und Zukunft wendet. Angela Andorrers Panoramahandscape Tulln nutzt die Teilhabe als künstlerische Strategie der Sichtbarmachung. Die Künstlerin zeichnet – sie montiert digital – eine Landschaft aus Handflächen als Region für Entdeckungen im sozialen Miteinander. In dieser Gegend ist jede und jeder konstitutiv, die einzigartige Landschaft ergibt sich durch das Miteinander jeder einzelnen Position, jeder Kontur, Linie und Form im Ensemble.
Nicht weit entfernt von Panoramahandscape Tulln befindet sich die Replik (3) des Reiterstandbildes des Marc Aurel (4) – eine Referenz an die jahrhundertelange Präsenz der Römer in Tulln. Der Kaiser hat seine rechte Hand zu einer Geste der Ansprache an Bürger, Soldaten erhoben. In Andrei Tarkowskys Film Nostalghia (1983) wählt der russische Regisseur das römische Original als Bühne für eine flammende Rede Domenicos (“Everyone must be saved, the whole world”) zum notwendigen sozialen Wandel, an deren Ende er sich selbst entzündet.
Die historischen Positionen haben mannigfache Interpretationen, sie müssen ständig befragt, ihre Erzählweise muss hinterfragt werden. Wenn das Erzählen, das Hinterfragen und das Entdecken als partizipatorischer Prozess aufgesetzt wird, dann können Denkmäler eine lebendige und kritische Erinnerungskultur begleiten. In diesem Sinne kann Andorrers Panoramahandscape Tulln als zukunftsgerichtet und offen bezeichnet werden, es setzt von Anfang an auf die von den Teilnehmenden gesetzten Spuren.
Gegen den Strom
Das Leben erweist sich immer weniger als langer, ruhiger Fluss. Im Tullner Donaupark, der sich als Garten-/Landschaftsintervention am befestigten Südufer der Donauerstreckt, rückt auch eine europäische Vision ins Bild: Die Donau als länderverbindender Strom und als pulsierende Ader, die vielfältige kulturelle Verwandtschaften offenlegt. Es lohnt, sich die zehn Donauländer vor Augen zu führen: Deutschland, Österreich, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Moldavien, Ukraine – die Mündung etwa 150 Kilometer von Odessa entfernt. Heute spüren wir, dass die Verbindung nicht bloß geografisch zudenken ist. Wir empfinden Sorge, Angst und Entsetzen über einen Horror, der eine als zu Ende geglaubte Geschichte wieder auferstehen lässt.
Stromabwärts auf begleitenden römischen Wegen bewegt sich das Heldenepos der Nibelungen in seinem zweiten Teil die Donau entlang. Mord, Gemetzel, Hass und Rache sind wesentliche Elemente dieses u.a. von Fritz Lang 1924 als Stummfilminszenierten, historischen Liedes des vorbestimmten Untergangs. Das Lied arrangiert historische Versatzstücke, mythologische Vorbilder und heroische Vorstellungen zu einer flirrenden Fiktion. Seine Erzählung erscheint aus der Zeit gefallen, doch die Motive von Herrschaft, Mord und Zerstörung bleiben aktuell.
Das Tullner Nibelungendenkmal– wie die Marc Aurel Statue vom österreichisch-russischen Bildhauer Michail Nogin 2005 errichtet – in Verbindung mit dem Brunnen von Hans Muhr flankiert Andorrers Panoramahandscape Tulln im Donaupark im Westen.
Es hat mich als Kind am Donauufer immer fasziniert, welche Fahnen und Sprachen man an Frachtschiffen auf ihrer Fahrt gegen den Strom entdecken konnte. Der lange Fluss (2.850 Kilometer) spannt ein Panorama auf von Ländern und Kulturen, von Verbindendem und Fremden und einem möglichen Miteinander.
Handscape – Landscape
Angela Andorrers Panoramahandscape Tulln stellt eine gemeinschaftliche Aussage in den Mittelpunkt. ICH ist ein anderer, der eine andere Perspektive einnehmen kann, ICH sind auch die anderen, die sich als Gemeinschaft darstellen. Sie kann sichtbar machen, was sonst verborgen bliebe. Die Gemeinschaft zeichnet ein Bild von Gegenwart und Zukunft – ein Panorama aus vielen, vielleicht eine ideale Landschaft.
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Anmerkungen
1) 1871 an seinen Lehrer Georges Izambard. Arthur Rimbaud: Lettre de Rimbaud à Georges Izambard – 13 mai 1871. Œuvres, Texte établi par Paul Harmann, Mercure de France (impr. Aulard), s.d.(1958) (p. 305-306).
2) Paul Klee: SchöpferischeKonfession. Aus: Kasimir Edschmid (Hg.): Tribüne der Kunst und derZeit. Eine Schriftensammlung, Band XIII, S. 28–40, Erich Erich ReißVerlag, Berlin, 1920.
3) Das Original aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert ist Vorbild zahlreicher, heroischer Reiterstandbilder. Es befindet sich heute im Hof des Konservatorenpalastes der Kapitolinischen Museen in Rom.
4) Das Tullner Marc Aurel Denkmalist eine Kopie, die 2001 vom russischen Bildhauer Michail Nogin (http://www.nogin.at) hergestellt wurde. Von Nogin wurde auch das nahegelegene Nibelungendenkmal mit dem Brunnen von Hans Muhr geschaffen (2005).
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