Angela Andorrer sammelt auf Wanderungen Blätter und verfremdet diese künstlerisch, mit Farbe, Garn und Perlen zu Blatt – Objekten. Die äußeren Formen der Blätter erinnern an Inseln und geologische Formationen. Besonders inspirieren sie von Schnecken, Käfern oder Insekten zerfressene Blätter. Die fertigen Blattscapes werden in Objektkästen, hinter Glas, auf Distanzhaltern zur Schau gestellt, ähnlich zerbrechlichen Käfern oder Schmetterlingen in naturgeschichtlichen Sammlungen oder auch Reliquien und Klosterarbeiten.
Der Respekt vor der Schönheit und dem Urzustand des Naturobjektes hat Vorrang vor der künstlerischen Verfremdung. Häufig haben die Blätter Löcher, die mit roter Farbe umrandet werden und dann wie Wunden aussehen. Fäden laufen über diese Öffnungen, aber nicht um sie zu verschließen, sondern wie Spinnweben zu überspannen. Nicht selten erinnern die Fäden, die sich über das Blatt spannen, sich überkreuzen und verzweigen, an die Straßen und Wege einer Landkarte. In hölzerne Kästen wie schwebend vor weißem Hintergrund montiert, entfalten diese Kunstwerke ein wunderbares Eigenleben. – ACHIM GNANN
Auf Wanderungen sammele ich Blätter, die ich presse und dann mit Farbe, Garn und Perlen zu Blatt künstlerisch verfremde. Die „Blattscapes“ porträtiere ich dann wiederum auf Wanderungen filmisch und fotografisch vor wechselnden Landschaftskulissen. Die „Galerie der Reisenden Blätter“ wird ausgestellt in Form von Großdrucken auf Büttenpapier, die im Raum schweben und die die BesucherInnen, wie eine echte Landschaft, quasi umfangen. Durch die Größe der Drucke werden neue Räume und Blickachsen gebildet. In Kombination mit den kleinen Original – Blattscapes entsteht ein Spiel mit Größen – Dimensionen. Landschaft in der Landschaft, Mikrokosmos im Makrokosmos. – ANGELA ANDORRER
Filmstills Pigmenprints auf Bütten Edition of 10 / 16 : 9 (variable Größe)
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Eine Reisende ist sie. Und ist da sogar ein bissl wie Christoph Kolumbus. Denn eigentlich entdeckt sie unentwegt eine neue Welt, die sich in der alten verbirgt und streng genommen schon die ganze Zeit dagewesen ist.
Wenn die Blätter schließlich fertig sind, zu individuellen Charakteren herangereift (die einen sind malerischer, abstrakt expressiv, andere wieder monochrom, haben bizarre Formen oder sind in eine geometrische Fadenkonstruktion eingebunden, sind rationaler), geht sie mit ihnen auf Wanderschaft, die Andorrer. Macht sie zu „Reisenden Blättern“. Zu Touristen. Hält ihre „Blattscapes“ vor diverse Naturkulissen. Kleine Blätter in der großen, weiten Welt. – CLAUDIA AIGNER
Fotografische Inszenierungen Pigmentprints auf Bütten (Format Variabel)
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Jede lebendige Oberfläche hat ihre eigene Geografie: Die Erde und ihre Länder, Körper und Haut, Bäume und ihre Blätter. Diese Geografie schreibt sich in sie ein durch die natürlichen Prozesse des Wachsens und Alterns, die Zyklen von Werden und Vergehen, aber auch durch äußere Eingriffe, Kultivierung und Nutzbarmachung, gesellschaftliche und politische Prozesse, Krieg. All diese Prozesse manifestieren sich und machen die Verletzlichkeit der Oberflächen ebenso deutlich sichtbar wie ihre eigentliche Schutzfunktion. Wo verstecken wir uns, wenn diese nicht mehr gegeben ist? Die Natur als Zuflucht verschwindet in dem Ausmaß, in dem wir sie zerstören. Heimat ist für viele ein unbewohnbarer Ort. Durch den löchrigen Flickenteppich unserer Erde blitzt unsere eigene nackte Haut. – RUTH CERHA
„Skins and Leaves“: Nackte Haut und künstlerisch gestaltete Blätter treten in einen lebendigen Dialog. Das eine trägt das andere als Schmuck, als zweite Haut, als Tarnung. Ein weibliches Gesicht spechtelt scheu aus der Deckung heraus. Die einfühlsame Fotoserie zeigt den Menschen als Teil der verletzlichen Natur. Auch der Städter kann sich nicht aus der Affäre ziehen, so tun, als gingen ihn die Abholzung der Wälder oder der Klimawandel nix an. – WIENER ZEITUNG
Bei der Betrachtung eines Blattes taucht jedoch die Frage auf ob es vielleicht das Blatt eines Baumes ist, der der letzte seiner Art war und das wir in künstlerisch veredelter Form künftigen Generationen aufbewahren. – WOLFGANG HUBER
Die Verehrung der Natur ist heute zeitgemäß und angebracht. Jedes einzelne Blatt ist für mich eine Art Kniefall vor der Schöpfung, gewissermaßen eine ‚Reliquie der Natur‘. Indem ich kleinformatige Blattscapes in Reliquienmonstranzen inszeniere, trete ich mit der kirchlichen Tradition der Vergangenheit in einen Dialog. Der Spannungsbogen zwischen Pantheismus und Christentum, zwischen Naturkult und Heiligenkult, zwischen Prozession und Klimademonstration ist eröffnet. – ANGELA ANDORRER
beschriftung
Ist der Reliquienkult im 21. Jahrhundert noch zeitgemäß? Hat sich das Leben seit dem Mittelalter nicht so verändert, dass es neue Reliquien braucht? Wird in Zeiten des Klimawandels die bedrohte Natur selbst zur modernen Reliquie? Diese Ideen entstanden während der Arbeit an den Blattscapes. In der Au und auf ihren Wanderungen sammelt die Künstlerin unterschiedliche Blätter, die das Ausgangsmaterial für ihre Arbeit bilden. Sie trocknet, presst und bearbeitet sie mit Acryl, Garn und Perlen. Sie veredelt die Abfall- und Zerfallsprodukte der Natur zu Kunstwerken. Diese Techniken entsprechen bis zu einem gewissen Grad den Klosterarbeiten, mit denen in der Barockzeit Reliquien eine kostbare Fassung verliehen wurde. Doch der Respekt vor der Schönheit und dem Urzustand des Naturobjektes hat Vorrang vor der künstlerischen Verfremdung. So entstehen moderne Naturreliquien, die hier in historischen Schaugefäßen präsentiert werden. Vielleicht meinen manche, dass hier Profanes, dem das nicht zusteht, sakralisiert wird. – WOLFGANG HUBER
Video von Satel Film, supported by Thomas Knoglinger, Matthias Trinkl und Stift Klosterneuburg. Musik Die Strottern, Neuzusammenschnitt aus dem Film „Aufgetischt in Klosterneuburg“ 2017, ausgestrahlt in ORF/Ö1 und 3SAT
Wie bei einer Diashow mit (beschaulich bis dramatisch) bewegten Bildern reihen sich die 42 Kurzvideos aneinander, wo jeweils ein „Blattscape“ eine Landschaft „anprobiert“, die ihm erstaunlich gut passt. Nicht, als wäre sie ihm ein paar Nummern zu groß. Im Hintergrund zieht der Johnsbach vorbei, die Nockberge erheben sich, streckt sich ein See gemütlich aus, auf dem Hochwechsel liegt Schnee (no na, da hat das Blatt die Künstlerin auf eine Skitour begleitet), und auf einer Fähre von Polen nach Schweden hat der Horizont dermaßen geschwankt, dass das Meer darunter garantiert seekrank geworden ist. Da war’s „so windig, dass ich Angst gehabt hab, dass es mir wegfliegt“, das Blatt. Wie ein Schmetterling. – CLAUDIA AIGNER
Klimademos sind die Prozessionen von heute – Angela Andorrer
Performance
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Der CANTUS KLIMA ist ein strenger, repetitiver Sprechgesang, der sich formal zwischen katholischen Prozessionen und Klimademonstration in einem postapokalyptischen Szenario bewegt. Dabei werden besonders kleine, fragile Blattscape-Kunstwerke in Monstranzen zur Schau gestellt, die sonst nur aus dem religiösen Kontext bekannt sind, ganz nach dem Motto „Worship nature instead of old bones“. Eine gesichtslose Schamanenfigur erhebt Bittgebete, Fürbitten und Versprechungen, die das Verhalten der Menschheit gegenüber der Erde thematisieren. Andorrer bedient sich bewusst Ritualen unserer religiösen Herkunft und sieht sich darin in der Tradition der Aktionen von Herman Nitsch. Über allem schwebt der Beat des „Klima-Chant“, in den das Publikum einbezogen und zum handelnden Mitakteur wird. Versprechen und Handeln statt Anprangern.
We change our way of life to protect our children. (Refrain)
Die Aktionen werden ganz real von KlimaaktivistInnen unterstützt: Im Künstlerhaus Wien erschienen zum Beispiel rot gekleidete und auffällig geschminkte AkteurInnen knieend und betend, mit in unserer Kultur fast vollständig verschwundenen Gesten der Demut. Es handelte sich um die Red Rebels, eine Brigade der Klimaaktivisten XR Extinction Rebellion und Performance-Aktivistengruppe, die, von London ausgehend, im öffentlichen Raum und international auf die globale Umweltkrise aufmerksam macht mit eindrucksvollen, nonverbalen Prozessionen und Tableaus.
Während Andorrers Performance „Cantus Klima“ bleibt meine Aufmerksamkeit an einem Satz hängen, der über der ganzen Ausstellung wie eine fettgedruckte Überschrift stehen könnte: „We must make friends with nature, ‚cause nature makes the climate on which we depend“. Wir müssen uns mit der Natur versöhnen, denn sie ist verantwortlich für unser Klima, auf das wir alle angewiesen sind – heute mehr denn je. Freundschaft mit der Natur schließen, sie wie in „Cantus Klima“ gleichsam religiös mit Prozessionen und Litaneien um Vergebung bitten, Klimaschutz nicht nur denken sondern aktiv werden. – MARIA C. HOLTER
Die Kunst der Gegenwart ist beherrscht von Phänomenen, die – trotz formaler Differenz – eine Gemeinsamkeit haben: sie beziehen sich auf ekstatische Kulturtechniken. Rausch, Rituale und Selbstvergessenheit haben im Augenblick eine enorme Strahlkraft. – PAUL-PHILIPP HANSKE in: „Vague Intellectual Pleasures“
Installation: 12 bedruckte Fahnen Standort: Lake Engolasters, Biennale für LAND ART ANDORRA 2021
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The artist takes leaves from nature, dries, preserves and works them with acrylic, yarn and glass beads. Particularly inspiring are leaves eaten away by snails, caterpillars and beetles, which become geological formations, a landscape and a legible map.When a leaf breaks in a thin place, it is sewn back together, similar to a surgical operation. Then Andorrer takes the BLATTSCAPES, like friends, on hikes and portrays them against changing scenery. By photographing the delicate artworks in the landscape, she documents how they relate to the light, weather, and surroundings. Aspects of the cinematic, being in nature and mindfulness become part of the work. With the exhibition of the GALLERY OF TRAVELING LEAVES in the landscape, a double relocalization takes place: landscape in the landscape, or microcosm in the macrocosm.
It’s not uncommon for the threads that stretch across the leaf, crossing and branching, to resemble the roads and paths of a map. Often the leaves have holes that are outlined with red paint and then look like wounds. – ACHIM GNANN
Vom Wandern, Konservieren, Reparieren und dann wieder auf Reisen mitnehmen
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Durch den Prozess des Wanderns, Auswählens, Konservierens, Schmückens, Nähens und Reparierens von Blättern, entstehen neue Objekte, die widerspiegeln, wie wir mit der Umwelt umgehen sollten. Wenn ein Blatt an einer dünnen Stelle bricht, nähe ich es wieder zusammen, ähnlich einem chirurgischen Eingriff. Gebrochene Äste werden geschient, gerissene Häute genäht. Dieser Prozess ist für mich eine Art „Heilen der Natur“. Der meditative Prozess des Stickens ist eine heutzutage kaum mehr ausgeübte Tätigkeit und doch Teil unserer Herkunft.
Ich versuche die sich ständig verändernde Beziehung zwischen Mensch und Umwelt durch persönliche Metaphern zu verstehen. Wenn ich meine Blatt – Objekte auf Wanderungen mitnehme und sie an neuen Standorten in der Natur relokalisiere, entsteht ein widersprüchliches Gefühl von Verlust und Verbindung. Welchen Platz nehmen wir im Verhältnis zur Natur ein? Wie beeinflussen wir ihre Zyklen, die sich auch auf uns auswirken? Meiner Meinung nach gibt es eine Beziehung zwischen Mensch und Natur über Zeit, Raum und Wahrnehmung hinweg, die uns alle miteinander verbindet, auch wenn wir es oft kaum merken. – ANGELA ANDORRER