Handscapes und Blattscapes von Andorrer

von Achim Gnann


Angela Andorrers Handscapes stellen eine faszinierende, gänzliche individuelle Kunstform dar, bei denen sie eine Handfläche mit Aquarellfarben bemalt und dabei Eigenschaften und Charakteristiken einer Persönlichkeit zu Tage treten lässt oder hervorhebt. Nachdem sie die Handfläche mit einem neutralen Farbton grundiert hat, setzt Angela Andorrer unzählige Akzente mit dünnen farbigen Pinselstrichen. Sie überzieht die Flächen und Erhebungen mit Schraffuren, fährt die Linien nach und begleitet sie mit Strichen oder Punkten. Sie arbeitet die Papillaren so heraus, dass sie wie Fingerabdrücke die unverwechselbare Persönlichkeitsstruktur offen legen. Die Handlinien geben in ihrem Fluss oftmals einen Grundrhythmus vor, den farbige Formgebilde begleiten oder sie bilden ein Geflecht, das die Farbfelder mosaiksteinartig einschließt. Häufig graben sich die Linien ein und durchziehen wie Flussläufe die Hand.

Die Bemalungen erinnern trotz ihrer Abstraktion an Landkarten oder Luftaufnahmen von Landschaften aus größter Entfernung. Dabei gleicht kein Werk dem anderen, da der Ausgangspunkt immer die individuelle Beschaffenheit einer Hand ist. Im Unterschied zum Bodypainting, bei dem Muster auf den Körper projiziert werden, lässt sich Angela Andorrer immer vom Einzigartigen der Handfläche inspirieren und zwingt dieser nie dekorative Schemata auf.

Die Landschaften können unterschiedlicher nicht sein. Manchmal gleichen sie blühenden Feldern, auf denen hier und dort pflanzenartige Gebilde sprießen. Dann wieder sind es karge wüstenartige Gegenden,durchzogen von ausgetrockneten Flussläufen, oder Gebirge mit schroffen Erhebungen, auf denen es kaum zu grünen vermag, und zwischen denen sich Flüsse mit eisigem Wasser zwängen. Jede dieser Hände ist einzigartig und jeder findet in seiner bemalten Handfläche einen Zug seiner Persönlichkeit oder Stimmung wieder.

Der Malprozess dauert ein bis zwei Stunden. Die Künstlerin betrachtet die Hand unter einem Vergrößerungsglas, vergegenwärtigt sich das Besondere und Intime der reliefartigen Struktur, Beschaffenheit und Farbe der Haut und denkt zumeist noch eine Weile nach, bevor sie den Entschluss fasst, wie sie beginnt. Dann geht sie ganz intuitiv vor und lässt sich von dem Gespräch mit der oder dem Porträtierten anregen. Eine momentane seelische Stimmung beeinflusst manchmal den jeweiligen Malverlauf, der einen performativen Charakter hat. Da die Handscapes vergänglich sind, zumeist nach kurzer Zeit wieder abgewaschen werden, hält sie Angela Andorrer auf großen Farbfotos fest, durch die sie in Form von Kunstwerken verewigt werden. In den Fotos arbeitet sie das Format und einzelne Partien der Bilder aus, verändert sie aber nicht wesentlich.

Die Künstlerin schafft auch Handscapesvon Paaren, in denen das Ineinanderfließen der Emotionen, das Verbindende, aber auch Trennende anschaulich wird, sowie Landschaften von mehreren ineinander verschränkten Händen einer Gruppe oder Familie. Angela Andorrer erhielt wesentliche Anregung für ihre Kunst durch ihren Vater, der Professor für Kartografie und Antarktisforscher war. Impulse lieferten ihr auch die Body- und Performance Art, mit der sie sich während ihres Kunststudiums in Montreal in den 1990er Jahren auseinandergesetzt hat. Nach eigenen Aussagen stimulierte sie zudem die holländische und französische Landschaftsmalerei des 17. bis 19. Jahrhunderts.

Einen anderen Bereich ihres Schaffens bilden die Blattscapes. Die Künstlerin sammelt in der Natur ausgefallene Blätter, die sie anschließend trocknet, presst und gummiert. Für die Bearbeitungverwendet sie Acrylfarben sowie Garn und Perlen. Bei der Bemalung lässt sie sich häufig von der äußeren gezackten, zugespitzten oder gerundeten Form der Blätter inspirieren. Teilweise legen die farbigen Pinselstriche die Äderungen frei, machen das Filigrane, Verletzliche der Blattstruktur anschaulich. Dann wieder überdecken die Farben den Grund, die mit breiten Pinselstrichen in malerischem Duktus aufgesetzt sind. Dekorative Muster werden über die Flächen verteilt, zwischen die sich Fäden spannen können. Da sie aufgestickt sind, bringen sie eine andere, haptische Realitätsebene ins Spiel.

Häufig haben die Blätter Löcher, die mit roter Farbe umrandet werden und dann wie Wunden aussehen. Fäden laufen über diese Öffnungen, aber nicht um sie zu verschließen, sondern wie Spinnweben zu überspannen. Angela Andorrer findet wohl auch deswegen Gefallen an einer derart textilen Verschönerung der Blätter, weil ihr Großvater Schneider war und ihre Mutter ein Stoffgeschäft besaß. Oftmals bezieht die Künstlerin auch Perlen mit ein, die wie auf einer Kette aufgefädelt sind oder wie Tautropfen oder Edelsteine aufliegen. Die farbige Pinseldekoration, die gespannten Fäden und applizierten Perlen machen die Blätter zu raffinierten Schmuckstücken.

Die jeweilige Form liefert die Inspiration und bildet den Ausgangspunkt für die künstlerische Transformation, durch die das Blatt aber nie gänzlich überdeckt und übertönt wird. Die unvergleichliche Grundform bleibt immer bestehen. Der Respekt vor der Schönheit und dem Urzustand des Naturobjektes hat Vorrang vor der künstlerischen Verfremdung.

Nicht selten erinnern die Fäden, die sich über das Blatt spannen, sich überkreuzen und verzweigen, an die Straßen und Wege einer Landkarte. Darin berühren sich die Blattscapes mit den Handscapes,die nur auf den ersten Blick wenig miteinander gemein haben. Wie die Hände haben auch Blätter eine Haut, die sich vorwölbt und zwischen denen Äderungen verlaufen, die der Pinsel verdeckt oder hervorhebt.Wie bei der Hand arbeitet Angela Andorrer bei jedem einzelnen Blatt das Unvergleichliche und Individuelle heraus, und so gleicht keines dem anderen. In hölzerne Kästen wie schwebend vor weißem Hintergrund montiert, entfalten diese Kunstwerke ein wunderbares Eigenleben.

Was die Künstlerin bei ihrer Arbeit bewegt, hat sie auf poetische Weise selbst formuliert:
Ich reise auf Blättern und in fremden Händen. Wandere auf deren Bergen und in deren Tälern. Folge den Pfaden, den Abzweigungen und den Mustern. Ich kartiere und markiere mit Pinsel, Nadel und Faden.


Achim Gnann ist Kunsthistoriker und Kurator an der Albertina Wien. 

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